Albert Ploeger Kunstmeditaties

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Gott erleuchtet uns

Dämmerung

Zur Zeit (bis 25.11.2012) kann man in der christkatholischen Kirche St. Peter und Paul in Bern CH die ausserordentliche Installation Dämmerung des französischen Künstlers Gérard Breuil sehen. Breuil ist bekannt durch seine raumbezogenen Arbeiten, vor allem in sakralen Räumen romanischer oder gotischer Kirchen im Burgund. In Bern bespielt er die Vorhalle der neogothischen Kirche mit einem dreiteiligen Werk: in den zwei einander gegenüberstehenden Absiden spannt er je 5 Bilder zwischen die Säulen und in der Gewölbemitte, im Scheitelpunkt des Kreuzrippengewölbes, also an der Decke des Gewölbes, setzt er ein Rundgemälde, einen Tondo, ein.

Bern St. Petrus und Pauluskirche, koor Bern St. Petrus und Pauluskirche, tondo

Breuils Absicht

Die Kunsthistorikerin Marianne Gerny, die auch die Initiatorin der wechselnden Kunstausstellungen in dieser Kirche ist, schreibt treffend in ihrem Informationsblatt: “Gérard Breuil horcht auf den Herzschlag von sakralen Räumen, die sich im stetigen Wandel des Lichts immer wieder anders zeigen. Lebendiges Licht und vorgegebene Architektur, wandelbares im Beständigen – in diesem dialektischen Spannungsfeld bewegt sich die Schaffenskraft von Gérard Breuil. Der Künstler, der im Burgund lebt, hat sich auf Installationen in gotisch geprägten Sakralräumen spezialisiert, die sich durch hohe Achtsamkeit in der Begegnung mit der unverwechselbaren Persönlichkeit des jeweiligen Raumes auszeichnen. So erzeugen seine sanften Interventionen einen klassischen Synergieeffekt – Vorhandenes, aber nie Wahrgenommenes wird plötzlich sichtbar, Leere und Schatten werden raumbildend, Räume erwachen zu neuem Leben.”

Gleichzeitig sind diese sparsamen, wohldurchdachten Installationen von einer äussersten Askese geprägt, hoch ästhetisch, formvollendet und auf das Zentrale konzentriert: Encre de Chine, vom lichten Grau bis zur tiefsten Schwärze, Formen, die das Wesen eines Bauwerks, die Seele der Gotik widerspiegeln.

In der St. Peter und Paulkirche hat Gérard Breuil ein ideales Wirkungsfeld gefunden. Die dämmrige Vorhalle erhält ihr spärliches Licht nur von den beiden seitlichen Apsiden.

Das Wandern und sich Wandeln des Lichts vom strahlenden Glanz des frühen Morgens zum sachten Verblauen der Abenddämmerung ist hier im Ablauf des Tages besonders eindrücklich zu erleben. Der Künstler folgt dem Rhythmus vom Untergehen des Tages und vom Aufgehen der Nacht, wobei ihn die Gleichzeitigkeit beider Ereignisse fasziniert.

Die Mitte des Raumes bleibt als Konstante geheimnisvoll im Dunkeln. Nur in der Lünette schimmert nochmals Licht und Bewegung auf. Mit intensiv schwarzer, mit Russ versetzter Tinte auf hellem Grund nimmt der Künstler die Blumenmotive des Gewölbezentrums wieder auf, ein weiteres einfühlsames Eingehen auf sein persönliches Erleben des Kirchenraumes.

Gérard Breuil verbindet in seinem Konzept die drei Kraftfelder, die von den Apsiden und von der Lünette ausgehen, auf eine sinnliche und lyrische Art. Je nach Lichteinfall wirken die Bilder ruhig, asketisch, meditativ oder erfüllt von einem positiven Streben in die Höhe.

Breuil kennt nicht nur die grossen Kathedralen wie beispielsweise die Ruine von Cluny oder Autun, sondern auch die zahlreichen kleineren Kirchen im Burgund und im Brionnais, die durch ihre hohe Bauqualität immer wieder in Erstaunen versetzen. Dabei beobachtet er vor allem die Räume mit ihren Pfeilern, Säulen und Bögen, welche die Last der Gewölbe auffangen und ableiten. Diese harmonischen Bewegungen setzt er in seinen Werken als Idee um, ohne eine naturalistische Abbildung anzustreben. Breuil sagt sinngemäss zum Licht und zu seiner Arbeit: “Diese Vorhalle ist durch das eindringende Licht belebt, das gleichzeitig Schatten erzeugt, die über die Säulen und Mauern gleiten. In der Stille hatte ich das Gefühl, ein leises Geräusch wahrzunehmen, wie wenn jemand schmeichelnd über den Stein streichen würde. Ähnliches wollte ich tun: meinem Pinsel zuhören, wenn er über die rohe Leinwand streicht und Spuren hinterlässt. Ein fernes Echo der Stille dieses Ortes”.

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Der strahlende Tondo in der Mitte macht mir besinnlich

In der Stille der Kirche stehe ich unten, nehme den Tondo in der Höhe über mir wahr und meditiere:

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde… und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis (Genesis 1:1a).

Als erstes belebte Gott die Finsternis mit Licht und vielen Sternen. Anschließend machte Gott, (wie der Künstler sinnbildhaft da oben), einen Entwurf der Natur. Er skizzierte die organische Natur, beispielsweise Schmetterlinge und andere geflügelte Wesen, Spinnweben, die Hüllblätter von Mais und Getreide. Er skizzierte die anorganische Natur, beispielsweise Kristalle, Fossilien und Eisblumen. Natur, vollkommen gedacht, Natur, wunderschön gezeichnet.

Schlußendlich hat Gott den Entwurf der Schöpfung realisiert, die ganze Natur geschaffen durch sein Wort, und da gehören ja auch wir Menschen dazu. Alles kommt von Gottes Sprechen her; da über uns sehen wir, wie alles skizziert und gemeint ist im Licht; irgendwelche Schatten, die wir erkennen sind Reflektionen unserer Finsternis. Aber am liebsten jetzt schon – und sicher einmal endgültig, wird alles Düstere zu Licht werden.

Denn noch höher, über dem weissen, strahlenden Feuer des Tondos in St. Peter und Paul,
vermuten wir, wie St. Peter schon gesehen hat, die Glorie des verherrlichten Meisters…
nehmen wir an, wie St Paul es benannte, ein Licht, zu den niemand kommen kann…
glauben wir, wie die Kirche, die Anwesenheit von unser Gott, ganz anders wie wir…
hoffen wir, wie St Johannes es voraussah, einst in Gottes Licht zu leben.

Niemand hat Gott je gesehen und doch erkennen wir schon hier unten, am Anfang des Osterfestes, den Ruf des Lebenden: «Das Licht Christi!»

Der Evangelist Johannes hat geschrieben:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Das Licht scheint in der Finsternis ( Johannes 1:1-4). Wenn wir im Licht sind, wird die Finsternis unseres Lebens erleuchtet.

Das Sprechen Gottes, durch Israël, durch Christus, erleuchtet uns.

Dieu nous illumine!

Dies sah ich in der Höhe, im und hinter dem Tondo von Gérard Breuil, in der christ-katholische Kirche St Peter und Paul in Bern.

Bibelzitaten aus Genesis 1:1a,3; Johannes 1:1,4; 2. Petrus 1:17-19; 1. Timotheus 6:16; Offenbarung 22:5.
Gérard Breuil lebt und arbeitet in St-Bonnet-des-Bruyères; gerard.breuil0246 @ orange.fr
Übersetzung und kunsthistorische Korrekturen: Katharina Bütikofer, Kunstberaterin, Bern